Roteschen um Kranzberg
letzte Aktualisierung: 08.06.2023
Am 15. September 2020 sah ich zum ersten Mal bewusst eine Rotesche, die Rotesche bei Allershausen. Seither habe ich mich mit dieser Art etwas näher beschäftigt und über 380 Exemplare in meiner Umgebung, d. h. im Umkreis von gut 15 km Luftlinie, „gesammelt“.
Wie habe ich das gemacht?
Betrachtungsraum und -zeit
Der Betrachtungsraum entspricht dem bayerischen Flurbaumgebiet dieser Website (siehe Standortkarte) und wurde von mir mehr oder weniger engmaschig, vor allem entlang der Gewässer, mit dem Rad befahren. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird keineswegs erhoben. Deshalb beschreibe ich, wenn ich die Anzahl von Bäumen nenne, immer einen Mindestbestand. Vor allem jüngere Exemplare, insbesondere Wildlinge, dürften häufig unerkannt geblieben sein. Bis heute sind so (mindestens) 389 Roteschen zusammengekommen. Für eine übersichtliche Darstellung werden diese Pflanzen abhängig vom Standort und unter Berücksichtigung von Struktur und Biotop zu Clustern zusammengefasst und beschrieben. Die Daten wurden ab Herbst 2020 erhoben, sie werden bedarfsweise ergänzt.
Was habe ich erhoben?
Die Bäume wurden mit Koordinaten, Stammdurchmesser und Wuchsform (Strauch, Baum, Anzahl der Stämme) kartiert. Ich habe abgeschätzt, ob der Baum gepflanzt wurde.
Die Erfassung des Stammdurchmessers erfolgte ganzzahlig in cm und nur für einzelne Bäume (vor allem die stärkeren Exemplare) durch exakte Messung, im Übrigen durch Schätzung, z. B. auch über ein Gewässer zum anderen Ufer hinüber. Die Angaben sind demnach oft nicht zentimetergenau. Für Bäume wurde diese Feststellung für eine Höhe von etwa 130 cm (BHU), für Wildlinge und kleinere Sträucher auch darunter getroffen.
Für eine übersichtliche Darstellung werden die Bäume nach der in Tabelle 1 dargestellten Einteilung klassifiziert, das Alter entsprechend dem Altersfaktor von 0,5 Jahr/cm BHU geschätzt.
Tabelle 1: Klassifizierung
Stamm-Ø, cm | ≙ BHU, cm | ca. Jahre alt | Baumbezeichnung |
---|---|---|---|
1 - 16 cm | 1 - 50 cm | 1 - 25 cm | junger Baum |
17 - 63 cm | 51 - 199 cm | 26 - 99 cm | mittelalter Baum |
ab 64 cm | ab 200 cm | ab 100 cm | alter Baum |
Bei der Wuchsform wurden folgende Merkmale festgehalten:
1. Sträucher: Exemplare mit mehreren Ästen ohne dominierende Sprossachse. Darunter fielen Wildlinge und jüngere Pflanzen bis 14 cm Stammdurchmesser (stärkster Ast).
2. Bäume: Exemplare mit dominierender Sprossachse
- einstämmige Bäume,
- zweistämmige Bäume,
- mehrstämmige Bäume.
Der Übergang von Sträuchern zu zwei- oder mehrstämmigen Bäumen ist fließend und, da nicht näher definiert, subjektiv.
Die Beurteilung der Stämmigkeit erfolgte nach den hier formulierten Kriterien.
Mögliche Hinweise für eine Pflanzung:
Als Indizien für eine Anpflanzung gelten folgende Kriterien:
- Position an einem (ehemaligen) Straßenrand (Abb. 1, 2, 3, 4, 13, 14, 15), im Privatgarten, im gepflegten Ortsbereich, in linearer oder flächiger Anordnung mit weiteren Bäume, in gleichem Abstand zu Nachbarbäumen gleicher Art oder gleichen Alters (Abb. 10 und 12),
- keine älteren Exemplare flussaufwärts oder in einer Entfernung von weniger als 150 m in Hauptwindrichtung. (85)
In größeren Beständen, für die ich von einer alten Straßenbegrünung, Grenzbepflanzung oder Aufforstung ausgehe (Aiterbach-Nord, Aiterbach-Süd, Allershausen-Ost-2, Flughafen-Nordwest-2), sind natürlich auch jüngere Exemplare zu finden, die durch Aussamen entstanden sind. Die Grenze zwischen Bepflanzung und Aussamung ziehe ich in diesen Fällen willkürlich beim halben Stammdurchmesser des stärksten Exemplars.
Bei der Beurteilung von Altersunterschieden gehe ich von einer annähernd stabilen Relation des Alters zum Stammdurchmesser aus. Ehemalige Straßenränder oder Flurstücks- und andere Grenzen wurden mit Hilfe der historischen Positionsblätter (1:25.000, um 1860) und der Uraufnahme (1808-1864) der Bayerischen Vermessungsverwaltung (46) erfasst.
Ergebnisse
Cluster
Die Beschreibung der Roteschen-Cluster finden Sie in Karte 1. Am besten klicken Sie dazu auf Vollbildanzeige. Bei anschließendem Klick auf die Stecknadel wird die Beschreibung des jeweiligen Clusters angezeigt. Diese nennt Standort und Eigenschaften des stärksten darin enthaltenen Baums sowie den übrigen Bestand an Roteschen im Cluster.
Karte 1: Lage der Roteschen-Cluster
Verbreitung im Betrachtungsraum
Die bisher gefundenen Roteschen kommen hauptsächlich im Ampertal, in den Tälchen des Aiterbachs, des Thalhauser und des Mauerner Bachs, im Isartal und im anschließenden Erdinger Moos vor. Im Glonntal, der breiten Verlängerung des Ampertals bei Allershausen nach Westen, und entlang der Goldach südlich der Ludwigstraße in Hallbergmoos wurden von mir bisher keine Roteschen gefunden.
Charakteristische Merkmale
Die Bäume tragen alle hell- bis dunkelbraune Knospen, die Blattspindeln sind ohne Eschenraute, die Blätter haben z. T. 5 oder 9, ganz überwiegend aber 7 Fiederblättchen.
Die Jungtriebe und Blattspindeln sind meist mehr oder weniger behaart. Die Behaarung ist weißlich bis braungrau bis rostfarben. Sehr selten finden sich Härchen auf der Blattoberseite, wenn, dann nur am Blattgrund und im unteren Teil der Hauptader.
Die grünen Jungtriebe haben zum Teil einen wachsartig-weißlichen und abwischbaren Belag.
Im Jahr 2022 leuchteten die Roteschen ab September kräftig gelb aus dem noch grünen Laub der meisten anderen Arten wie Feldahorn, Ahorn oder Eichen (Abb. 6, 18). Deren Laub zeigten ab Oktober einen ins orange gehenden Gelbton, den die Rotesche kaum annimmt. Ab etwa 20. Oktober hatten viele Roteschen bereits alles Laub verloren oder es war vertrocknet und braun (Abb. 4).
Die Gemeine Esche verhielt sich nach meinen Beobachtungen etwa anders als in der Literatur beschrieben: Ab Anfang Oktober wurden die Blätter der meisten Exemplare zwar "vorschriftsgemäß" etwas blass oder gelblich grün. Im letzten Oktoberdrittel traten aber gleichzeitig und nebeneinander Bäume mit grünen, blassgrünen, aber auch roteschen-gelben Blättern auf. Roteschen erkennt man dann an den braunen Endknospen und den meist 7 Fiederblättchen.
Wuchsformen (Erfassung 2000 - 2023)
Abb. 6 und 7 zeigen Altersstruktur und Wuchsformen der gefundenen Roteschen.
Die gewählte Altersklassifizierung weist 42 % der erfassten Roteschen den mittelalten Bäumen und 10 % den alten Bäumen zu. Junge Gehölze (Wildlinge, Sträucher und junge Bäume) machen 48 % aus. 55 % der Bäume sind einstämmig, 23 % zwei- und mehrstämmig.
Stammdurchmesser, Alter, Bestandsentwicklung (Erfassung 2000 - 2023)
Ich unterstelle einen jährlichen Zuwachs des BHU von 0,5 cm (siehe Tabelle 1). Die Altersverteilung der erfassten Roteschen geht aus Abb. 9 hervor.
Die stärkste gefundene Rotesche hat einen Stammdurchmesser von 119 cm und ein berechnetes Alter von 187 Jahren.
Wie für einen Neophyten wie die Rotesche zu erwarten ist, erfolgt ihre Ausbreitung zumindest in der Anfangsphase mit exponentiellem Verlauf. Das heißt, dass die zeitliche Funktion der Bestandszahlen sich nicht als Summe mit jährlich konstantem Zuwachs, sondern als Produkt darstellen lässt (Abb. 9).
Diese Aussage kann wegen des kleinen räumlichen Bezugs und der nicht systematischen Durchführung des Projekts natürlich nicht verallgemeinert werden.
Wie konnten sich die Roteschen ausbreiten?
Bei 72 der erfassten Roteschen (19 %) liegt nach meiner Einschätzung nahe, dass sie gepflanzt wurden, der Rest dürfte aus den mit dem Wind und Wasser verfrachteten Samen entstanden sein. Schmiedel & Schmidt geben an, dass die Ausbreitung von Roteschen-Samen mit dem Wind bis zu einer Entfernung von 150 m möglich ist (85). Wenn das zuträfe, wäre für etliche dieser Bäume außerhalb von möglichen Überschwemmungsflächen die Herkunft des Samens nur damit erklärbar, dass der Spenderbaum im Umkreis von 150 m nicht gefunden wurde oder nicht mehr existiert.
Einzelne Exemplare waren in etwa gleichaltrigen, gepflanzten Hecken zu finden, in denen auch Gemeine Esche gepflanzt wurde (z. B. in den Clustern Wildschwaige-Hecke, Oberndorf, Fahrenzhausen und Flughafen-S-Hecke). Es ist nicht auszuschließen, dass sich unter dem Pflanzgut unbemerkt einige Roteschen befanden. Für eine planmäßige Pflanzung erscheint der Roteschenanteil hier aber zu gering.
Der Zweck von gezielten Roteschen-Pflanzung dürfte überwiegend das Errichten von Grenz- oder Straßenbepflanzungen gewesen sein. Einige wenige wurden in jüngerer Zeit zur Orts- und Gartengestaltung eingesetzt. Von mehreren Bäumen ist bekannt, dass sie im Weltwald oder seiner Vorgänger-Institution für Demonstrationszwecke gepflanzt wurde.
Deutschlandweit findet man immer mehr in den Städten gepflanzte Roteschen (siehe hierzu Roteschen zum Anfassen). Hierfür werden heute in der Regel nur männliche Pflanzen verwendet, um eine unerwünschte Ausbreitung über Samen zu verhindern.
Die Seltenheit der Roteschen
Der Eintrag in der Roten Liste von Bayern für die Rotesche lautet: "sehr seltener Neophyt". Diese Bewertung gilt für Bayern und den Naturraum "Molassehügelland", in dem sich Kranzberg und seine Umgebung befinden. (87) (79)
Für die Rote Liste wird die Seltenheit einer Pflanze anhand des Auftretens in "Messtischblätter-Quadranten" bewertet (88). Dazu wird jeweils ein Blatt der Topografischen Karte 1:25.000 (früher: Messtischblatt) durch eine senkrechte und eine waagrechte Linie in 4 gleich große Teile (Quadranten) geteilt. Der Quadrant links oben erhält die Teilnummer 1, in Leserichtung folgen 2, 3 und 4.
Kommt eine Art in nicht mehr als 3 % aller Quadranten des Bezugsraums vor, gilt sie als "sehr selten". Der Bezugsraum "Molassehügelland" umfasst 663 dieser Quadranten (einschließlich "Grenzquadranten", die nur teilweise in diesem Bezugsraum liegen). Demnach waren beim Zusammenstellen der aktuellen Roten Liste Vorkommen der Rotesche in maximal 20 Quadranten (3 % von 663) dieses Bezugsraums bekannt.
In einem ca. 15-km-Radius um Kranzberg stehen im Jahr 2023 mindestens 192 Roteschen mit einem Alter von etwa 25 Jahren und älter ("mittelalte" und "alte Bäume"). Sie wachsen in 11 der oben genannten Quadranten, was einem Anteil von 1,7 % aller Quadranten im Bezugsraum entspricht. Man kann davon ausgehen, dass diese Bäume bereits am Ende des vergangenen Jahrhunderts hier standen.
Darüber hinaus gibt es natürlich weitere Roteschen im Molassehügelland und seinen Quadranten, zum Beispiel als Straßenbäume an der B2 östlich von Hattenhofen (Lkr. Fürstenfeldbruck).
Dem unbefangenen Beobachter stellen sich Fragen. Gibt es diese Dichte an Roteschen nur um Freising? Was wären die Gründe hierfür? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass Roteschen bisher einfach übersehen wurden und als Gemeine Esche erfasst wurden?
Die aktuelle Rote Liste wurde 2003 veröffentlicht, die Erhebungen hierzu liefen sicher über viele Jahre vorher. Eine aktuelle Fassung ist für 2023 angekündigt (89).
Ich bin gespannt.
Update Juli 2024
Nach Auskunft des Bayerischen Landesamts für Umwelt wird die Art nach wie vor als extrem selten eingestuft, weil hierfür nur eingebürgerte Vorkommen zählen. Unbeständig kommt die Art sehr selten vor. Neophyten werden künftig in der Roten Liste nicht mehr bewertet. Die neue Rote Liste soll noch heuer erscheinen.