Vom Spritzen der Bäume

Die deutsche Sprache wird oft als überreglementiert wahrgenommen. Allerdings gibt es auch Formulierungen, denen es an Eindeutigkeit mangelt. Dies ist z. B. in der Überschrift dieses Textes der Fall. Ist hier von Bäumen die Rede, die wegen Blattlaus- oder Insektenbefall gespritzt werden? Oder handelt es sich um Bäume, die selber Flüssigkeit absondern? Das ergibt sich erst aus dem Kontext. Hier soll das zweite Phänomen behandelt werden.

Abb. 1: Kautschukgewinnung, Wikipedia (90)

Der in Südamerika vorkommende Uacúbaum verspritzt einen ein Meter langen waagerechten Strahl einer gelben Flüssigkeit, wenn in seinen Stamm Äxte in bestimmter Tiefe geschlagen werden. Dies geschieht im Rahmen einer rituellen Praxis, die von Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Tukano in Kolumbien vollzogen wird. Die tukanischen Männer lassen sich von dem Strahl des Uacúbaums benetzen, weil sie sich davon eine Erhöhung ihrer Muskelkraft und Potenz erhoffen. (92)

Auch die weißliche Flüssigkeit, die der Kautschukbaum absondert, setzt eine Verletzung seiner Rinde voraus. Um den Kautschuk zu gewinnen, wird die Rinde des Baums spiralförmig mit einem Messer geritzt. Der Name Kautschuk leitet sich von einer indigenen Sprache Perus her und bedeutet so viel wie weinendes oder blutendes Holz. Der zur Familie der Wolfsmilchgewächse zählende Kautschukbaum wird im Deutschen auch als Gummibaum bezeichnet, da sein Milchsaft zur Gummiherstellung verwendet wird. (Abb. 1)

Ganz ohne menschliches Zutun sondern Linden eine klebrige Flüssigkeit ab. Zumindest hat dies den Anschein. Aber entgegen einer verbreiteten irrigen Meinung ist es nicht der Blütennektar der Linden, der unterhalb der Krone parkende Fahrzeuge verklebt. Der ungeliebte Überzug stammt von Gästen des Baumes, den Blattläusen. Diese saugen den Pflanzensaft aus den Lindenblättern und scheiden den größten Teil als fast reinen Zuckersaft wieder aus, den sog. Honigtau. Dabei ziehen sie die Sommerlinde der Winterlinde vor, allerdings beehren sie auch Berg- und Spitzahorne.


Beliebter beim Menschen ist die Flüssigkeit, die man aus Galläpfeln gewinnen kann, die sich an der Unterseite von Eichenblättern festgesetzt haben. Galläpfel entstehen aus befruchteten Eiern von Gallwespen. Die Gallwespenweibchen legen ihre Eier mit Hilfe des Legstachels in einer Blattader des Eichenblattes ab, und durch eine Abwehrreaktion der Eiche entsteht rund um das Ei eine krankhafte Wucherung, der Gallapfel. Galläpfel werden verwendet zur Färbung von Wolle, Leder und Rauchwaren, aber auch zur Herstellung von Tinte. Nicht umsonst lautet der lateinische Name der Gallwespe Cynips tinctoria. Die Eisengallustinte wurde bereits in vorchristlicher Zeit erfunden und blieb bis ins 20. Jahrhundert von großer Bedeutung. Wichtige Dokumente wurden mit ihr verfasst, so z.B. die englische Magna Charta oder die amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

Abb. 2: Gallapfel an einem Blatt, Wikipedia (91)
Abb. 3: Pinkelbaum von F. K. Waechter (Foto von Udo Fedderies)


Während sich die Männer des Tukano-Stamms mit voller Absicht von einem Baum bespritzen lassen, geschieht dies ahnungslosen Fußgängern im Frankfurter Stadtwald eher überraschend. Am Jacobiweiher steht der von dem Frankfurter Künstler und Vertreter der Neuen Frankfurter Schule F. K. Waechter kreierte Pinkelbaum. Wer ihm zu nahe kommt, erlebt eine feuchte Überraschung: „Seit 300 Jahren pisst man mich an. Ab heute pisse ich zurück.“

von Udo Fedderies