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Gemeine Esche bei Langenpreising

Der Körnermais auf dem 800 m langen Acker ist gedroschen, der Weg zum Flurbaum ist frei. Nur unter dem Baum, wohin der Mähdrescher nicht fahren konnte, stehen noch ein paar von den trockenen Maispflanzen.

Flurbaum-Steckbrief

Bezeichnung

Gemeine Esche - Fraxinus excelsior

Beschreibung

  • einstämmig
  • Stammumfang: 451 cm in 130 cm Höhe (BHU)
  • Baumhöhe: ca. 26 m
  • Kronenbreite: ca. 18 m
  • Kronenform: zylindrisch
  • Alter: ca. 120 Jahre, Keimung um 1900

Lebensraum

  • Acker
  • Begleitvegetation: Schwarzer Holunder
  • ebenes Gelände
  • Höhenlage: 422 m
  • Naturraum: Erdinger Moos

Standort

  • bei Langenpreising (ca. 500 m südlich des Orts)
  • Gemeinde Langenpreising
  • Lkr. Erding, Bayern
  • Koordinaten: 48.4177, 11.978

Risiken

  • regelmäßige Bodenbearbeitung bis etwa 1 m zum Stamm

Besonderheit

  • sehr alter Baum
  • landschaftsprägender Baum
  • Ackerbaum
  • Zeugenbaum (Flusslauf)

Stand: Oktober 2024


Veränderung einer Landschaft - der Mittlere-Isar-Kanal bei Langenpreising

Um 1920 begann die flächendeckende Elektifizierung Bayerns. Zwischen 1919 und 1930 entstand zwischen München und Landshut das leistungsfähigste Wasserkraftprojekt Bayerns. Es besteht aus einem System von Kanälen, Stauseen und Kraftwerken mit dem Mittleren-Isar-Kanal als Kernstück. Es liegt in der Natur der Kanalbauten, dass sie gravierend in Landschaften einwirken, stellen sie sich doch dem Wasserlauf nach dem natürlichen Gefälle entgegen. Die Gemeine Esche bei Langenpreising könnte darüber aus eigener Anschauung einiges berichten.
Die Kartenausschnitte stammen aus dem Bayernatlas (46), sie werden nicht maßstabsgetreu wiedergegeben.

Die Landschaft vor dem Kanalbau

In Abb. 1 durchquert das mäandernde Flüsschen Strogen um 1800 von Südost nach Nordwest den Kartenausschnitt. Im nördlichen Bereich des Gewanns "Miterfeld" deuten die Geländestrukturen auf eine früher weiter östlich verlaufene Strogen hin. Etwas oberhalb (südöstlich) des späteren Baumstandorts (roter Punkt) steht die Blattmühle und nutzt die Wasserkraft des Flüsschens. Von dort führt ein Weg an das Flussufer, vermutlich kam man hier durch eine Furt an die Flächen jenseits der Strogen. Etwas unterhalb des Baumstandorts mündet ein von Süden kommender Graben in die Strogen. Ein Ausgleichsgraben verbindet die beiden Gewässer oberhalb der Mühle, vermutlich zu deren Schutz vor Hochwasser. 

Die Nummern in den Flurstücken verweisen auf den Besitzer mit der entsprechenden Hausnummer im Ort der jeweiligen Gemarkung (146).

In dem Gewann "Miterfeld" nordöstlich der Mühle liegen rund 60 Flurstücke. Die meisten von ihnen sind um die 100 Meter lang, ihre Breite variiert zwischen ca. 3 und 50 Metern. Das längste Stück zieht sich von der Mühle in Richtung Nordost (es trägt in sich den Schriftzug "Blattmühl") und ist gut 300 Meter lang. 

Abb. 2: Ausschnitt aus den (topographischen) Positionsblättern Bayern, ab 1890, Originalmaßstab 1:25.000.

Abb. 1: Ausschnitt aus der Bayerischen Uraufnahme um 1810, Originalmaßstab 1:5.000.

Es gehört zum Haus Nummer 14 in Langenpreising. Das Flurstück mit der Bezeichnung "111", auf der die Mühle steht, verweist vermutlich auf Gemeinde- oder Allgemeingut ("Allmende"), der Friedhof von Langenpreising trägt jedenfalls auch diese Nummer.

In dem aus der topographischen Uraufnahme abgeleiteten Positionsblatt von 1860 ist das Wegenetz etwas weiter ausgebaut. Die Mühle heißt jetzt Plattmühle. Ein Fußweg verbindet sie östlich der Strogen mit Langenpreising. Der von der Mühle nach Westen abgehende Weg setzt sich jetzt auf der Westseite des Flusses fort. 

Die 1906 erschienene Topographische Karte (Abb. 2) zeigt diesen Zustand unverändert, allerdings ergänzt mit Höhenlinien und die Gefällrichtung bezeichnenden Schraffen. 

Unser Flurbaum dürfte um 1870 gekeimt haben. Vielleicht wurde er vom Plattmüller an dieser Stelle gepflanzt, wo der Weg den Fluss kreuzt. 

Zum Bau des Mittleren-Isar-Kanals (1919 bis 1930)

Bereits 1908 hatte es erste Pläne gegeben, die 87,7 Meter Höhenunterschied der Isar auf der 51,5 Kilometer langen Strecke zwischen München und Moosburg zur Energiegewinnung zu nutzen.

Neben der Stromerzeugung erhoffte man sich mit dem Bau dieses Jahrhundertprojekts auch, die durch die schnelle Demobilisierung des bayerischen Heeres nach dem Krieg entstandene Arbeitslosigkeit zu lindern sowie durch Trockenlegung von Sumpf- und Moorflächen des Erdinger Mooses fruchtbare Böden für die Landwirtschaft zu gewinnen. Damit sollte der Flächenverlust für den Kanalbau kompensiert werden.

Trotzdem kam es während des Baus gerade wegen des Flächenbedarfs immer wieder zu Streit. Wegen der damals sehr hohen Inflation weigerten sich viele Landwirte, Grund gegen Bezahlung abzugeben. Vielmehr forderten sie einen Tausch mit gleichwertigen Flächen. Das 1921 gegründete Staatsunternehmen "Mittlere Isar AG" konnte oder wollte diesen Forderung nicht immer nachkommen und beschritt schließlich auch den Weg der Zwangsenteignung.

Im ersten Bauabschnitt (1919 bis 1924; München bis Berglern) waren bis zu 8.000, im zweiten (1926 bis 1930; Berglern bis Moosburg) bis zu 2.500 Arbeiter eingesetzt. Alleine im zweiten Abschnitt kam es zu 2.318 Unfällen, wovon 100 schwer und acht tödlich verliefen.

Für kreuzende Gewässer waren oft komplexe Lösungen notwendig. Zudem zerschnitt der Kanal das Wegenetz, was den Bau vieler Brücken oder Unterführungen erforderte. Der Kanal wurde fünf Meter tief und 23 bis 34 Meter breit ausgebaut, zwischen dem Speichersee bei Ismaning und dem Kraftwerk Pfrombach bei Moosburg sollte er schiffbar sein (Abb. 3). Die Dammhöhe erreicht zum Beispiel im Bereich der Strogenunterführung südlich unseres Flurbaums über 12 Meter (Abb. 4). 

Zum Transport von Arbeitern und Baumaterial wurde zwischen Altenerding und dem Kraftwerk Pfrombach eine kanalbegleitende Werkbahn gebaut, die bis 1967 bestand.

Fritz Todt, ab 1923 Mitglied der NSDAP und späterer Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen und Leiter der nach ihm benannten paramilitärischen Organisation, war seit 1921 als Mitarbeiter der Firma Sager & Woerner am Bau dieses Projekts beteiligt.

Quelle: "Energiewende in Bayern vor 100 Jahren" von Dominik Reither (147).

Abb. 3: Mittlerer-Isar-Kanal über der Strogenunterführung, Blick nach Süden.
Abb. 4: Damm des Kanals neben der Strogenunterführung, dahinter liegt der Wasserlauf des Kanals.

Die Landschaft nach dem Kanalbau

Die 1937 herausgebrachte Topographische Karte zeigt die Veränderungen dieses großen Projekts auf die Landschaftsstrukturen im Umfeld des Flurbaums (Abb. 5). 

Der Kanal durchschneidet die Landschaft auf seiner gesamten Länge. Wie wir heute wissen, hat eine solche trennende Struktur negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Sie stellt für viele Organismen eine unüberwindbare Barriere dar. Sie führt dazu, dass Teilpopulationen isoliert werden, genetisch verarmen und - wenn sie in diesem Ökosystem aussterben - eine Wiederansiedlung erheblich erschwert wird. (148)

Das Gewässer- und Wegenetz sowie die Flureinteilung wurden "bereinigt". Die Strogen ist heute in ein begradigtes, zum Teil betoniertes Flussbett gezwängt und wird zusammen mit der Straße nach Wartenberg unter dem Kanal durchgeführt (Abb. 6). 

Abb. 6: Mittlerer-Isar-Kanal: Unterführung der Strogen zusammen mit der Ortsverbindung Langenpreising-Wartenberg südlich des Flurbaum-Standorts.

Trotz ihrer Mächtigkeit verschwinden die Dämme des Kanals in vielen Bereichen hinter den aufwachsenden Gehölzstreifen (Abb. 7). Aus den hier zitierten Quellen geht nicht hervor, ob es sich um Anpflanzungen handelt und, sollte dies zutreffen, wann diese Pflanzungen durchgeführt wurden. Möglicherweise erfolgte die Besiedlung der Dämme mit Gehölzen aber auch durch die Natur.

Abb. 5: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1937, Originalmaßstab 1:25.000.

Dem früheren Mühlenbetrieb ist die Grundlage entzogen, der Wohnplatz wird jetzt als "Plattach" bezeichnet.


Abb. 7: Blick von der Straße im Westen über die Strogen und das Gewann mit dem Flurbaum, dahinter der mit Gehölzen bewachsene Kanaldamm.
Abb. 8: Topographische Karte von 1960, Originalmaßstab 1:25.000. 

Im Luftbild von 2002 (Abb. 9) sind in dem Gewann noch fünf Gehölze zu erkennen, die früher den Fluss begleiteten und auch heute noch existieren. Ein Teil der Flurstücke wird noch als Grünland genutzt. Unser Flurbaum steht auf einer Acker-Grünland-Grenze, die aber keiner Flurstücksgrenze entspricht. Vermutlich war dem Bewirtschafter die als Grünland genutzte Fläche für die Ackernutzung zu feucht.  

Abb. 10: Luftbild vom August 2024. 


Der frühere Verlauf der Strogen wird auf dem Luftbild durch verbliebene Raine, unterschiedliche Boden- und Vegetationsfärbung sowie die ehemals gewässerbegleitenden Bäume markiert. 

In dem früher mit "Miterfeld" bezeichneten Gewann gibt es heute noch insgesamt 11 Flurstücke, die zum Teil zusammen bewirtschaftet werden. Der Acker mit dem Flurbaum reicht in einer Länge von gut 800 Metern vom Ortsrand im Norden bis zum Mittleren-Isar-Kanal im Süden (Abb. 11).

Die an der Nordseite des Gewanns verlaufende Ortsstraße heißt "Plattachmühlstraße".

In der Ausgabe von 1937 der Topographischen Karte (Abb. 5, oben) waren noch keine Gehölze enthalten. Die nachfolgende Aktualisierung von 1960 (Abb. 8) enthält Gehölze.

Im südlichen Bereich des Gewanns mit der Esche, das von der begradigten und verlegten Strogen begrenzt wird, sind Grünland und Laubbäume eingezeichnet, ein Hinweis, dass der Bereich, in der der Fluss vorher verlief, damals noch zu feucht für die Ackernutzung war.

Der Wohnplatz Plattach ist verschwunden. Die Werkbahntrasse besteht noch.

In der Topographischen Karte von 2002 (hier nicht dargestellt) sind das Grünland und die Werkbahn verschwunden.

Abb. 9: Luftbild vom September 2002. 

Das Luftbild von 2024 (Abb. 10) zeigt, dass in dem Gewann keine Fläche mehr als Grünland genutzt wird. Die Ackerfähigkeit einer Fläche wird in der Regel durch Entwässerung erreicht. Die Esche steht jetzt mitten im Acker und ist somit ein Ackerbaum. 

Vermutlich entsprechend den Vorschriften zum Gewässerschutz wurde entlang der Strogen ein mehrere Meter breiter Grünstreifen angelegt. 

Abb. 11: Blick vom Ortsrand im Norden über das Flurbaum-Gewann zum bewachsenen Kanaldamm als südliche Begrenzung. Der rote Pfeil markiert unseren Flurbaum.